GEMEINSAM FÜR MENSCHEN IN NOT Rückblick 2023
IMPRESSUM Herausgeber: Aktionsbündnis Katastrophenhilfe GbR Abraham-Lincoln-Straße 7 65189 Wiesbaden www.aktionsbuendnis-katastrophenhilfe.de V.i.S.d.P.: Dominique Mann Redaktion und Gestaltung: Stephan Günther, Christian Stock, Carina Ulmann Titelbild: Nach dem Erdbeben vom 6. Februar 2023 in Syrien und der Türkei errichteten zahlreiche Hilfsorganisationen Notunterkünfte. Hier zeigt ein Helfer des Türkischen Roten Halbmondes den Kindern eine Bargeldkarte, mit der ihre Eltern einkaufen können. © DRK © Caritas international 2 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
Im Jahr 2024 kam es in Deutschland zu gleich mehreren schweren Überflutungen. Den Hochwassern zum Jahreswechsel in Niedersachsen folgten im Mai starke Regenfälle im Saarland, in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, wo Überschwemmungen und Erdrutsche große Schäden anrichteten. Im Juni mussten nach weiteren schweren Fluten in Süddeutschland tausende Menschen evakuiert werden. Und Mitte September schließlich folgten auf sintflutartige Niederschläge in Österreich und Tschechien schwere Fluten auch in Teilen Ostdeutschlands. Inzwischen sind sich Meteorologen einig, dass der Klimawandel für die Häufung von Starkregen in Mitteleuropa verantwortlich ist. Das Mittelmeer war in diesem Frühjahr um etwa zwei bis drei Grad zu warm, somit konnte die Luft dort sehr viel Feuchtigkeit aufnehmen – die in Mitteleuropa dann zu den außergewöhnlich starken Niederschlägen führten. Wir müssen auch in Europa häufiger mit solchen Extremwetterereignissen rechnen. Was dies konkret bedeutet, diskutieren Mitarbeiter von Caritas international und Diakonie Katastrophenhilfe (Seite 13), die nach der verheerenden Flut im Ahrtal vor drei Jahren im Einsatz waren. In anderen Teilen der Erde führen die Folgen des Klimawandels ebenfalls zu Extremwettern mit katastrophalen Folgen – insbesondere dann, wenn sie sich in Krisenregionen ereignen. Die im Aktionsbündnis Katastrophenhilfe kooperierenden Hilfswerke sind immer öfter mit solchen multiplen Krisen und Katastrophen konfrontiert. Etwa in Libyen (Seite 12) oder im Sudan (Seite 10), wo Umweltkatastrophen und Bürgerkriege die Hilfen wechselseitig erschweren. Auch im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien beeinträchtigten die Folgen des Krieges in Syrien die Katastrophenhilfe nach dem schweren Erdbeben im Februar 2023 (Seite 4). Dass die Hilfswerke des Bündnisses dort dennoch schnell und effektiv helfen konnten, verdanken wir nicht zuletzt der herausragenden Unterstützung durch unsere Partner sowie Ihrer Solidarität und Spendenbereitschaft, liebe Leserinnen und Leser. Dafür möchte ich mich – im Namen aller beteiligter Hilfswerke und der Menschen, die wir unterstützen konnten – sehr herzlich bedanken. Ihr Dr. Oliver Müller Vorsitzender des Aktionsbündnisses Katastrophenhilfe und Leiter von Caritas international VORWORT 3
Die Erdbeben, die sich im Februar 2023 in der Osttürkei und Nordwestsyrien ereigneten, hatten so verheerende Folgen, weil sie mit Magnituden von bis zu 7,8 sehr stark waren und sie einen Umkreis von bis zu 400 Kilometern erschütterten. Starke Niederschläge und Kälte erschwerten die Lage für die Überlebenden und für die Nothilfe. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass etwa 23 Millionen Menschen von den Erdbeben mittelbar und unmittelbar betroffen waren und sind. In den beiden Ländern starben mehr als 62.000 Menschen, über 125.000 wurden verletzt. Auch weit mehr als ein Jahr nach dem Erdbeben geht es für Millionen Menschen noch darum, Häuser, Infrastruktur und ihre Existenzgrundlagen wiederaufzubauen. Viele haben Familienmitglieder und Freunde verloren und benötigen neben materieller auch psychologische und psychosoziale Hilfe. Nachhaltige Katastrophenhilfe bedeutet in dieser schwierigen Lage, den Gefahren erneuter Beben durch erdbebensichereren Wiederaufbau zu begegnen und gleichzeitig zu berücksichtigen, dass die Betroffenen sehr schnell wieder feste Unterkünfte benötigen. ERSCHWERTE HILFEN NACH DEM BEBEN TÜRKEI/SYRIEN Die Erdbeben vom Februar 2023 richteten außerordentlich schwere Schäden an. Hunderttausende Menschen wurden obdachlos, wie hier in Edlib (Syrien). © Caritas international 4 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
„Es war eine der größten und schlimmsten Naturkatastrophen der letzten Jahrzehnte. Wir sind sehr dankbar für die vielen Spenden an das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe“, sagt Oliver Müller, Vorsitzender des Bündnisses und Leiter von Caritas international. „Den Mitgliedsorganisationen des Bündnisses ist es wichtig, den Betroffenen der Erdbeben mit den Spenden bestmöglich zu helfen“. Bereits wenige Stunden nach den Beben standen die Helferinnen und Helfer der Partnerorganisationen von Caritas international, Deutschem Roten Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland den Menschen zur Seite. In den ersten Tagen und Wochen ging es vor allem darum, die vielen Kinder, Frauen und Männer mit dem Nötigsten wie Trinkwasser, Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Dingen des täglichen Bedarfs zu versorgen. Ebenso wurde psychosoziale Hilfe geleistet, um die Menschen dabei zu unterstützen, das Erlebte und die erlittenen Traumata zu überwinden. Die lokalen Partner in der Türkei und Syrien hatten direkten Zugang zu den Erdbebenopfern, provisorischen Unterkünften und Zeltsiedlungen. Sie konnten die Hilfe bedarfsgerecht organisieren und leisten. Nach der ersten Nothilfephase konzentrierte sich die Unterstützung auf weitergehende Maßnahmen. Helferinnen und Helfer errichteten Latrinen, versorgten Menschen mit Trinkwasser, halfen durch Bargeld oder stellten Kindern Lernmaterial und Bildungsangebote zur Verfügung. Doch die Situation im gesamten Erdbebengebiet ist weiterhin schwierig. Der Wiederaufbau kommt auf Grund der riesigen Zerstörung nur langsam voran. Auch nach mehr als einem Jahr leben viele Menschen in Zelten und provisorischen Unterkünften. Hinzu kommt, dass der Konflikt in Syrien, vor dem Millionen Menschen in die Türkei geflohen sind, weiter anhält. Insgesamt haben die vier Organisationen 114,9 Millionen Euro Spenden erhalten. Davon wurden bereits 106 Millionen Euro verausgabt oder sind fest in Projekten und Hilfsmaßnahmen verplant. Auch in den kommenden Monaten werden Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland und ihre lokalen Partnerorganisationen den Menschen beim Wiederaufbau zur Seite stehen. Darüber hinaus helfen sie den Menschen mit Einkommen schaffenden Maßnahmen und Bargeldhilfen, sich wieder ein eigenes Leben nach den schrecklichen Beben aufzubauen. UNICEF Bildung und Impfungen Laut UNICEF benötigen 2,5 Millionen Kinder in der Türkei und 3,7 Millionen in Syrien weiterhin humanitäre Hilfe. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen engagiert sich auf verschiedenen Feldern. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen sicher, dass betroffene Kinder und Familien Zugang zu sauberem Trinkwasser, Lebensmitteln und zu sanitären Einrichtungen bekommen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt im Bildungsbereich. Denn fast vier Millionen Kinder konnten infolge des Erdbebens nicht zur Schule gehen. UNICEF setzt Schulen wieder instand und stattet Schulklassen mit Lernmaterialien aus. UNICEF sorgt zudem dafür, dass die betroffenen Kinder medizinisch versorgt werden. Dazu gehören auch große Impfkampagnen in den betroffenen Regionen, etwa gegen Cholera und Polio. Caritas international Fertighäuser und psychosoziale Hilfe Caritas international und die lokalen Partnerorganisationen haben in der türkischen Provinz Hatay über 360 Wohneinheiten für Betroffene des Erdbebens gebaut, damit Familien wieder ein festes Dach über dem Kopf haben. In den vorgefertigten kleinen Häusern haben Familien mit fünf bis sechs Personen Platz. Es gibt eine © Ameen Haddad 5
kleine Küche sowie Strom-, Wasser- und Abwasseranschluss. Die Fertigbauweise hat sich bereits in Nordsyrien bewährt und wird nun auch in der Türkei eingesetzt. Die Häuser werden zunächst alleinerziehenden Frauen mit ihren Kindern, Kindern, die beide Elternteile verloren haben, sowie Menschen mit Behinderung zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Fokus der Caritas-Arbeit liegt auf der psychosozialen Hilfe – unter anderem mittels Sozialberatungen, psychologischer Einzelberatungen und Gruppentherapien. Angebote wie Sport, Spiel und kreatives Gestalten helfen Kindern, ihre schrecklichen Erfahrungen besser zu verarbeiten. Deutsches Rotes Kreuz Wiederaufbau und Gesundheitsversorgung Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Roten Kreuzes und der Partnerorganisationen des Roten Halbmonds konzentrieren sich aktuell darauf, die Menschen vor Ort zu befähigen, die mittel- und langfristigen Folgen des schweren Bebens besser zu bewältigen. Dazu werden Unterkünfte bereitgestellt und Infrastruktur wiederaufgebaut, wird die Gesundheitsversorgung stetig verbessert und erhalten Mitarbeitende und Freiwillige der jeweiligen Schwestergesellschaften Aus- und Fortbildungen. Im ersten Jahr nach dem Beben hat das DRK beispielsweise über 800.000 Menschen mit einer nahrhaften warmen Mahlzeit versorgt und 51.302 Personen durch Bargeldhilfen unterstützt. Mobile medizinische Einheiten des DRK leisteten in den ersten Wochen nach der Katastrophe medizinische Soforthilfe und gewährleisten nun die medizinische Versorgung von Familien, die durch das Beben vertrieben wurden. Diakonie Katastrophenhilfe Gesundheitsvorsorge in der Türkei und in Syrien Um den Betroffenen bei der Bewältigung von Stress und Traumata zu helfen, unterstützt die Diakonie Katastrophenhilfe mobile Teams, die für rund 3.220 Menschen psychosoziale Unterstützung leisten. Dies reicht von psychologischer Betreuung von gefährdeten Personen bis zu Maßnahmen zum Schutz von Kindern. Um die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern, verbessert die Diakonie Katastrophenhilfe die Hygienebedingungen. Dafür werden in betroffenen Gebieten in der Türkei Wassertanks, Latrinen, Duschkabinen und Handwaschstationen bereitgestellt sowie Hygiene- und Reinigungs-Sets verteilt. Auch im Großraum Aleppo in Syrien verbessert die Diakonie Katastrophenhilfe mit der Ausgabe von Kinder-Notfall-Sets und Hygiene-Sets für Frauen die Hygiene-Situation. Zudem werden besonders Betroffene in der Katastrophenregion mit einmaligen Bargeldhilfen und Einkommensmöglichkeiten unterstützt. © Sinan © Caritas international © Kerem Uzel 6 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
Es war kurz vor Mitternacht, als am 8. September 2023 die Erde in Marokko bebte. Betroffen war vor allem die Region 70 Kilometer südwestlich von Marrakesch im Atlasgebirge, die mit einer Stärke von 6,8 erschüttert wurde und damit das stärkste Beben seit mehr als hundert Jahren in der Region auslöste. Die Folgen waren verheerend: Fast 3.000 Menschen kamen ums Leben, 5.700 wurden verletzt. Die Heftigkeit der Erdstöße zerstörte etwa 60.000 Gebäude und machte 300.000 Menschen obdachlos. Insgesamt waren vom Beben 2,5 Millionen Marokkanerinnen und Marokkaner betroffen. Die Bedingungen für schnelle Nothilfe in der nur schwer zugänglichen Gebirgsregion der Provinz Al Haouz waren alles andere als einfach. Mit der Caritas Marrakesch hatte Caritas international jedoch eine Partnerorganisation vor Ort, die schnelle und wirksame Hilfe möglich machte. Die Kolleginnen und Kollegen verteilten Lebensmittel, Wasser, Hygienesets und organisierten medizinische Erstversorgung sowie die temporäre Unterbringung obdachlos gewordener Menschen in wetterrobusten Zelten. Die Caritas Marrakesch sicherte so das Überleben von 6.000 Menschen. In Vorbereitung auf die sehr kalten Winter im Atlasgebirge wurden diese Hilfen verstetigt und weiter ausgebaut. Die Menschen wurden mit warmer Winterkleidung versorgt und für 330 besonders schutz- und hilfsbedürftige Menschen wurden Übergangshäuser errichtet. Mehr als eine halbe Million Euro wurde im ersten halben Jahr von Caritas international für Hilfen bereitgestellt. Eine wichtige Stütze waren die vorhandenen lokalen Strukturen der Caritas Marrakesch. Insbesondere, weil Marokko ausländische Hilfe nur zögernd ins Land ließ. Dessen ungeachtet konnte Caritas international auf die bereits seit Jahren bestehende Zusammenarbeit zurückgreifen und erste Hilfsgütertransporte sehr schnell auf den Weg bringen. Inzwischen geht es darum, den Wiederaufbau und Neuanfang möglichst nachhaltig zu planen und dabei die Bedürfnisse der Betroffenen zu berücksichtigen. Denn noch immer leben viele Erdbebengeschädigte in Zelten. Für sie werden als Zwischenlösung weiterhin temporäre Unterkünfte errichtet. Bargeldhilfen ermöglichen vielen Familien, sich eine neue Existenzgrundlage in der Landwirtschaft oder im Kleingewerbe zu schaffen. Die Caritas Marrakesch unterstützt zudem den Wiederaufbau oder die Instandsetzung von Kindergärten. In einigen Dörfern erhalten besonders arme Familien Beihilfen als Ergänzung zu staatlich geleisteten Hilfen für den Wiederaufbau ihrer Häuser. NACHHALTIGER WIEDERAUFBAU NACH VERHEERENDEM BEBEN MAROKKO Besonders schutzbedürftige Menschen konnten schnell in modulare Gebäude einziehen. (Bild oben: im Bau) © Gernot Ritthaler © Gernot Ritthaler 7
Der russische Krieg gegen die Ukraine hat seit Februar 2022 zehntausende Menschenleben gefordert. Die Zahl der Verwundeten steigt mit jedem Kriegstag. Viele Häuser, Straßen, Krankenhäuser und weitere Infrastruktur sind zerstört. Rund zehn Millionen Menschen mussten ihre Heimat verlassen, mehr als sechs Millionen davon ins Ausland. Neben der Flüchtlingshilfe in den angrenzenden Staaten engagieren sich die Hilfswerke des Aktionsbündnisses Katastrophenhilfe auch in der Ukraine selbst – mit unterschiedlichen Schwerpunkten. „Achtung, Minen!“ warnt das Schild, vor dem Leonid steht. Der Sechsjährige lebt in der Region Charkiw, die in den letzten Wochen immer mehr ins Zentrum des Kriegsgeschehens in der Ukraine gerückt ist. Doch nicht nur Minen bringen die Kinder hier in Lebensgefahr, sondern vor allem auch die unerbittlichen Luftangriffe und Bombardierungen. Mehr als zwei Jahre nach Kriegsbeginn ist der Krieg für die Kinder zu einem gnadenlosen Dauerzustand geworden. Zahlreiche Kinder werden bei den Angriffen verletzt oder getötet. Und immer mehr Mädchen und Jungen sind psychisch extrem belastet, entwickeln Depressionen und Angstzustände. Mobile Gesundheitsstationen Bereits seit Beginn der Krise im Jahr 2014 versorgt UNICEF Kinder in der Ost-Ukraine mit Trinkwasser, Medikamenten und warmer Kleidung. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen hilft zudem bei der Fortbildung von Lehrkräften und Betreuenden, denn die ukrainischen Kinder brauchen dringend auch psychosoziale Hilfe, um die Gewalt um sie herum zu verarbeiten. UNICEF ist außerdem mit mobilen Gesundheitsteams in vielen Teilen des Landes im Einsatz, um eine grundlegende medizinische Versorgung für Familien aufrecht zu erhalten. Auch das Ukrainische Rote Kreuz (URK) betreibt – unterstützt vom Deutschen Roten Kreuz (DRK) – mobile medizinische Gesundheitsstationen, um trotz der Kriegssituation den Zugang zu elementarer gesundheitlicher Versorgung auch in ländlichen und entlegenen Gebieten zu gewährleisten. In Koordination mit dem Gesundheitsministerium können mit den mobilen Gesundheitsstationen 535.000 Menschen betreut werden. Durch gegenseitige Überweisungen werden zudem weitere erforderliche medizinische und soziale Leistungen unkompliziert in die Wege geleitet. UKRAINE SOZIALPROGRAMME SIND IMMUN GEGEN RAKETEN © Olena Hrom/UNICEF Eine Kindheit im Kriegsgebiet: Leonid aus Charkiw vor einem Minenwarnschild. 8 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
Hilfe im Kriegswinter Alle im Aktionsbündnis Katastrophenhilfe kooperierenden Hilfswerke haben in den vergangenen drei Kriegswintern in der Ukraine spezifische Hilfen geleistet. Beispielsweise stellen die Partner der Diakonie Katastrophenhilfe den Menschen finanzielle Mittel für Kleidung, Lebensmittel und Heizmaterial zur Verfügung. Außerdem unterstützen die Diakonie und ihre Partner vor Ort den Bau und Betrieb von Notunterkünften. In einer provisorischen Unterkunft in Charkiw beispielsweise finden vor allem ältere Menschen mit eingeschränkter Mobilität einen warmen Schlafplatz. Der Bedarf an solchen Hilfsprojekten ist enorm: Mehr als fünf Millionen Menschen sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Tag und Nacht sind auch hunderte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Caritas Ukraine in rund 70 Zentren und 200 Notunterkünften im Einsatz. Seit den ersten Kriegstagen verteilen sie Lebensmittelpakete, Decken, Kleidung und Hygienesets an die Betroffenen. Die Hilfe in den Krisenzentren und Notunterkünften richtet sich insbesondere an Ukrainerinnen und Ukrainer, die durch den Krieg im eigenen Land vertrieben sind. Sie haben oft alles verloren und leiden unter den traumatischen Erlebnissen. Die Caritas bietet ihnen psychosoziale Betreuung an. Krisenmanagerinnen, Psychologen, Sozialarbeiter und Juristinnen unterstützen die Kriegsversehrten und die Opfer von geschlechterspezifischer Gewalt. Fachkräfte der Caritas leisten traumatisierten Menschen therapeutische Hilfe, erteilen Rechtsberatung, helfen bei der Wiederbeschaffung von Urkunden und Dokumenten sowie bei der Suche nach vermissten Angehörigen. Sozialer Wiederaufbau Um solche Hilfsprojekte zu stärken und trotz des andauernden Krieges Perspektiven für die und mit den Menschen zu entwickeln, sind die Hilfsorganisationen auch auf politischer Ebene aktiv. So setzte sich die Diakonie Katastrophenhilfe auf der WiederaufbauKonferenz (URC 2024) im Juni 2024 dafür ein, humanitäre und entwicklungspolitische Überlegungen in die Diskussionen einfließen zu lassen. „Ein Wiederaufbau inmitten des Krieges mag absurd erscheinen. Doch Investitionen in Sozialprogramme sind weitgehend immun gegen Raketen und beugen einem Zusammenbruch der Gesellschaft vor“, betonte anlässlich dieser Konferenz Dagmar Pruin, Präsidentin der Diakonie Katastrophenhilfe und von Brot für die Welt. Insbesondere die Gesundheits- und Sozialsysteme des Landes benötigen angepasste Strukturen und finanzielle Mittel, um der steigenden Armut durch den Krieg zu begegnen. Laut Angaben der Weltbank von Ende Mai stieg der Anteil von Armut betroffener Menschen in der Ukraine in diesem Jahr um 1,8 Millionen auf rund neun Millionen Menschen. Ohne die bereits geleistete Hilfe für soziale Belange läge der Anstieg jedoch bei rund drei Millionen. Die humanitäre Hilfe leistet also einen enormen Beitrag gegen die wachsende Armut, darunter auch die Hilfen von Caritas international, Deutschem Roten Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland, die in den beiden Jahren seit Kriegsbeginn zusammen mehr als 400 Millionen Euro an Spenden erhalten haben. Mithilfe dieser Mittel kann der soziale Wiederaufbau auch in Kriegszeiten fortgeführt werden. © DKH/Vostok SOS © Rotes Kreuz Ukraine © Caritas Ukraine 9
SUDAN Arafa Musa kuschelt mit ihren Zwillingen Mawada und Mushtaha, als sie in der Gesundheitseinrichtung Dar Al-Salam in Port Sudan auf ihre Untersuchung wartet. Während sie sie abwechselnd füttert, spricht sie leise zu ihnen. Jede Woche besuchen die drei das Ernährungszentrum, in dem mangelernährte Kinder behandelt werden. Hier erhalten die Zwillinge lebensrettende Zusatznahrung. Vor einem Monat war Arafa Musa mit ihren beiden Kindern in die Einrichtung gekommen, weil beide krank waren. Schnell stellte sich heraus, dass die gesundheitlichen Probleme auf Unterernährung zurückgehen. Mawada war schwer, Mushtaha mäßig mangelernährt. Besonders schwere akute Mangelernährung ist lebensbedrohlich. Nach einer sofortigen Behandlung hat sich ihr Gesundheitszustand inzwischen deutlich verbessert. Derzeit sind im Sudan mehr als 700.000 Kinder lebensgefährlich mangelernährt. Im Zuge des eskalierenden Krieges hat sich die Ernährungskrise massiv zugespitzt. Um sicherzustellen, dass Kinder wie Mawada und Mushtaha rechtzeitig behandelt werden, liefert UNICEF medizinisches Material, gebrauchsfertige therapeutische Zusatznahrung sowie andere lebenswichtige Hilfsgüter und Medikamente an verschiedene Gesundheitseinrichtungen, auch in den Krisengebieten. In der Gesundheitseinrichtung Dar Al-Salam behandeln geschulte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die mangelernährten Kinder. Sie messen Gewicht und Größe, prüfen auf Ödeme und dokumentieren die Daten. Anschließend besprechen sie mit den Müttern die Fortschritte der Kinder und versorgen sie mit der gebrauchsfertigen therapeutischen Zusatznahrung, die sie bis zum nächsten Termin benötigen. Obwohl Mawada Fortschritte macht, ist sie noch immer stark unterernährt und wiegt nur fünf Kilogramm. „Ich habe sie mit dem gefüttert, was wir zu Hause essen", erklärt Arafa. Von der Ernährungsberaterin erfuhr sie, dass das nicht reicht. Heute kann sie ihre Kinder – trotz ihres täglichen Kampfes um den Lebensunterhalt – besser versorgen. Arafa ist daher optimistisch, dass ihre Kinder sich bald erholen werden: „Ich hoffe, sie ‚Mama‘ und ‚Baba‘ (Vater) sagen zu hören. Und ich hoffe, dass sie gesund aufwachsen und Glück in mein Leben bringen“, sagt sie beim Abschied. LEBENSBEDROHLICHER MANGEL Die Zwillinge von Arafa Musa haben überlebt (oben). UNICEF-Mitarbeitende bringen unter teils schwierigsten Bedingungen Hilfsgüter, Wasser und Medikamente in den Sudan (unten). © Ahmed Elfatih Mohamdeen © Ahmed Elfatih Mohamdeen 10 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
Rund 828 Millionen Menschen weltweit hatten laut der Vereinten Nationen im Jahr 2023 nicht genug zu essen. Besonders am Horn von Afrika blieb die Lage weiterhin dramatisch. In vielen Regionen Ostafrikas wechselten sich extreme Wetterlagen ab, anhaltende Dürren wurden nur durch Starkregenfälle und verheerende Überschwemmungen unterbrochen. Politische Instabilität, bewaffnete Konflikte und Vertreibungen verschärften die Situation noch und brachten die landwirtschaftliche Produktion vielfach zum Erliegen. Die Diakonie Katastrophenhilfe hat gemeinsam mit ihren Partnerorganisationen vielfältige Nothilfeprojekte umgesetzt, um den Menschen beizustehen und die Ernährungssituation zu verbessern: In Somalia wurden beispielsweise von Dürre betroffene Familien in der Region Gedo mit Lebensmittelgutscheinen unterstützt. Die ausgewählten Familien erhielten Gutscheine im Wert von rund 83 Euro, mit denen sie drei Monate lang ihren Bedarf an Nahrungsmitteln decken und die Zeit bis zur nächsten Ernte überbrücken konnten. Damit die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auch unter Dürrebedingungen weiterhin Landwirtschaft betreiben können, schulten die Partner zudem insgesamt 220 Familien in klimaresistenter Landwirtschaft und statteten sie mit angepasstem Saatgut und Werkzeugen aus. Im Südsudan engagierte sich die Diakonie Katastrophenhilfe für die Ernährungssicherheit von rückkehrenden Vertriebenen im südlichen Bundestaat Central Equatoria. Die meisten Rückkehrer haben keine finanziellen Mittel, um sich mit Landwirtschaft wieder eine Existenz aufzubauen. In der Region Kajo-keji wurden Bauerngruppen in Anbautechniken geschult, erhielten landwirtschaftliche Geräte sowie Saatgut und Maniok-Stöcke, ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Auch bei der Geflügelzucht, der Fischerei und der Bienenhaltung wurden kleinbäuerliche Haushalte unterstützt. 100 besonders notleidende Familien wurden zudem mit Bargeldhilfen unterstützt. Von den Hilfen profitierten rund 1.200 Menschen. In Äthiopien wurden verschiedene Projekte in der krisengeplagten Region Afar unterstützt. Die Lebenssituation von Vertriebenen und Flüchtlingen in Afar ist schlecht, denn die Gegend, in der traditionell Hirten Weidewirtschaft betreiben, bietet kaum Einkommensmöglichkeiten und weist ein hohes Risiko für Naturkatastrophen wie Dürren und Überschwemmungen auf. Zur Ernährungssicherung werden seit Ende 2023 beispielsweise 400 Flüchtlingsfamilien mit Gemüsesaatgut unterstützt. Auch Saatgut für Getreide und Hülsenfrüchte werden verteilt. Um mit dem Anbau beginnen zu können, erhalten die Begünstigten landwirtschaftliches Werkzeug wie etwa Harken und Gießkannen. 60 bedürftige Familien werden zudem mit Ziegen und Heu unterstützt, denn Ziegenmilch spielt eine wichtige Rolle in der Ernährung der Kleinkinder. Verbesserte Anbautechniken, wie hier im Südsudan, ermöglichen den Familien mehr Ernährungssicherheit (oben und unten). OSTAFRIKA DEN HUNGER BEKÄMPFEN © Siegfried Modola © Siegfried Modola 11
„Unsere erste Herausforderung war enorm“, erinnert sich Michael Heerde an seinen Einsatz in Libyen. Der Experte des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) erläutert: „Innerhalb von nur wenigen Tagen mussten wir die freiwilligen Helfer des Libyschen Roten Halbmonds in die Lage versetzen, ein von uns geliefertes Trinkwasseraufbereitungssystem zu bedienen, um eine kontinuierliche Trinkwasserversorgung für ihre betroffene Gemeinde sicherzustellen.“ Michael Heerde wurde schon wenige Tage nach Bekanntwerden des Ausmaßes der Katastrophe und der Notwendigkeit der Hilfsmaßnahmen vom DRK nach Libyen entsandt. Das Sturmtief „Daniel“ hatte im September 2023 im östlichen Mittelmeerraum schwere Überflutungen verursacht. Insbesondere Griechenland, Bulgarien, die Türkei und Libyen waren betroffen. In Libyen gab es nach dem Bruch zweier Staudämme mindestens 11.300 Tote, tausende Personen wurden vermisst. Für Michael Heerde war dies auch persönlich eine ganz besondere Herausforderung. Denn der ausgebildete Tierarzt, der sich in seiner Freizeit bei der Wasserwacht im Berliner DRK-Kreisverband Wedding/Prenzlauer Berg engagiert, hatte seine Ausbildung für internationale Einsätze gerade erst abgeschlossen. Neben umfangreicher sicherheits- und rotkreuz-relevanter Trainings hatte er das sogenannte WASH-Training absolviert, die Ausbildung für die Wasser-, Sanitär- und Hygieneversorgung in humanitären Krisensituationen. Die WASHExperten sind gefragt, wenn nach einer Katastrophe Trinkwasser bereitgestellt werden muss, Abwasser zum Problem wird oder Seuchenrisiken entstehen. Zudem ist WASH eine Voraussetzung für andere Maßnahmen der Nothilfe, etwa wenn Gesundheitseinrichtungen oder Notunterkünfte aufgebaut und betrieben werden. Nach der Flutkatastrophe war diese Hilfe in Libyen dringend notwendig. Ein DRK-Hilfstransport brachte per Flugzeug tausend Eimer, vier Trinkwasseraufbereitungsanlagen, 23 Trinkwassertanks, zehn Trinkwasserpumpen, ein Wasserlabor und einen Generator in das Katastrophengebiet. Die Teams vom Libyschen Roten Halbmond (LRH) und dem DRK halfen im Osten des Landes in der Region um die Stadt Darna bei der Wiederherstellung der Trinkwasserversorgung und setzten Projekte in den Bereichen Hygiene und Gesundheit um. Michael Heerde konnte am Ende eine positive Bilanz ziehen: „Zu den schönsten Momenten dieses Einsatzes gehörten die Trainingseinheiten mit den Freiwilligen des Roten Halbmondes. Ungeachtet der persönlichen Tragödien in ihrem unmittelbaren Umfeld zeigten sie ein enormes Engagement, außergewöhnliche Kompetenz und eine entschlossene Einstellung zu ihrer Arbeit. So konnten wir nach einem Monat die Heimkehr antreten, in dem Gefühl, dass wir gemeinsam mit den nun von uns gut eingearbeiteten Kollegen eine solide Basis geschaffen hatten, damit die Menschen in Darna trotz der Krise Zugang zu sauberem Wasser haben.“ EINE SOLIDE BASIS FÜR SAUBERES WASSER LIBYEN Die Mitarbeitenden des Libyschen Roten Halbmonds werden von Michael Heerde geschult. Künftig können sie die gelieferten Anlagen selbst betreiben. © Deutsches Rotes Kreuz 12 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
Die Hochwasser in diesem Jahr in Norddeutschland und in Süddeutschland haben erneut gezeigt: Extremwetterereignisse nehmen auch in Mitteleuropa zu. Wie kann die humanitäre Hilfe darauf reagieren? Welche Wege der Katastrophenvorsorge sind möglich? Und welche Lehren können aus der Flutkatastrophe von 2021 in Westdeutschland gezogen werden? Im Interview gehen Philipp Schröder, Fluthilfekoordinator bei Caritas international, und Markus Koth, Fluthilfekoordinator bei der Diakonie Katastrophenhilfe, auf diese Fragen ein. Die Fluthilfekoordinatoren Markus Koth (links) und Philipp Schröder (rechts). Diakonie und Caritas sind als Wohlfahrtsverbände in Deutschland in erster Linie für soziale Arbeit zuständig. Nach dem „Jahrhundert-Hochwasser“ 2021 in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen waren sie plötzlich in der Katastrophenhilfe gefragt. PHILIPP SCHRÖDER: Mit der Katastrophe gab es eine Ausweitung der Arbeitsfelder. Es war ja plötzlich alles anders. Kindergärten, Pflegeeinrichtungen und soziale Zentren waren beschädigt, viele Mitarbeitende selbst betroffen. Es war eine Überforderung, insbesondere für die Regionalverbände und Einrichtungen vor Ort. Einerseits konnten wir nicht einfach weiterarbeiten wie zuvor, andererseits wollten wir das enorme Potential nutzen, das Caritas und Diakonie vor Ort haben. Wir konnten uns nicht einfach zurücklehnen und sagen „Katastrophenhilfe in Deutschland ist nicht unsere Aufgabe“. Wohlfahrtstaatliches Handeln und humanitäre Hilfe zusammen zu denken, das war die Herausforderung. MARKUS KOTH: Mit Caritas international und der Diakonie Katastrophenhilfe haben beide Wohlfahrtsverbände international tätige Schwesterorganisationen, VIEL LERNEN UBER FLUTHILFE DEUTSCHLAND Von den Fluten weggerissen: Von der Brücke über die Ahr in Walporzheim (Rheinland-Pfalz) ist fast nichts mehr übrig geblieben. © Philipp Spalek 13
die in der Not- und Katastrophenhilfe tätig sind. Das heißt, wir haben die Expertise für das Handeln in einer Flutkatastrophe. Und wir haben in unseren Verbänden ein großes Potential an haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitenden und an Infrastruktur. Es ging also zunächst darum, beides zusammenzubringen – und dies möglichst schnell, denn wir mussten sofort handlungsfähig sein. Die Partnerstrukturen vor Ort haben dabei enorm geholfen, wir hatten überall Strukturen und Kirchengemeinden, die in Hilfsmaßnahmen integriert wurden. Haben Sie die Expertise der internationalen Katastrophenhilfe in lokale Strukturen übertragen? SCHRÖDER: Wir mussten dabei nicht bei null anfangen. Die Erfahrungen der letzten beiden großen Fluten in Deutschland 2002 und 2013 haben geholfen. Es ging darum, daraus ein Programm abzuleiten: Welche Maßnahmen hatten sich bewährt und wo können wir ansetzen? Was können wir weiterentwickeln für die lokalen Verbände? Als Mitarbeiter von Caritas international bin ich auf der Bundesebene tätig, agiere in der Fluthilfe mit dem Diözesanverband und den Ortsverbänden. Meine Funktion ist daher eine koordinierende. Wir sind darauf bedacht, die Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu unterstützen und durch die Expertise unseres Hilfswerkes einen Rahmen zu setzen, in dem wir diese Katastrophe gemeinsam bewältigen. Gleichzeitig können wir bei der Caritas auf gute Strukturen zurückgreifen und auf das Know-how in der allgemeinen sozialen Arbeit, in der Pflege, in der Familienberatung, aber auch in der Schuldnerberatung. KOTH: Wir hatten zwei erfahrene Kollegen aus dem internationalen Bereich, die seit zwanzig, dreißig Jahren in Krisenregionen der Welt tätig sind. Statt in Haiti und in der Ukraine waren sie jetzt eben in Nordrhein-Westfalen und RheinlandPfalz im Einsatz, um Lageeinschätzungen durchzuführen, Bedarfe zu erheben und den Partnern konkrete Hilfestellung zu geben bei der Umsetzung. Der Leitfaden, den wir nach den Flutkatastrophen in Deutschland 2002 und 2013 entwickelt haben, war eine gute Grundlage, so dass es sehr schnell losgehen konnte. Das Vorgehen in der Nothilfe ähnelt sehr dem in der internationalen Katastrophenhilfe: Auf lokale Strukturen zurückgreifen und nach dem Partnerprinzip arbeiten. SCHRÖDER: Ein gutes Beispiel dafür ist die Quartiersarbeit auf lokaler Ebene. Caritas und Diakonie sind in der Gemeindearbeit, in der Seniorenarbeit, der Jugendhilfe und in vielen anderen Bereichen tätig, in denen es stabile langjährige Netzwerke gibt. Diese Strukturen haben enorm geholfen, in der Nothilfe die besonders vulnerablen Gruppen und Personen ausfindig zu machen – und ihnen gezielt zu helfen. Und sie helfen auch dabei, im Rahmen von Katastrophenvorsorge künftigen Katastrophen vorzubeugen. KOTH: Ein großer Unterschied besteht darin, dass es in Ländern wie Bangladesch sehr viel häufiger zu Katastrophen kommt. Ich habe selbst in den Philippinen gearbeitet und gesehen, dass diese Länder uns um Jahre voraus sind, wenn es um Katastrophenvorsorge geht. Um vom globalen Süden zu lernen, hatten wir zu Beginn unseres Quartiersprojektes, welches die Katastrophenvorsorge umfasst, für mehrere Monate eine Expertin aus Indien hinzugezogen. Durga Mohanakrishnan unterstützte vor allem in den Bereichen Risiko- kommunikation und gemeindebasierte Ansätze. Das war auch deshalb wichtig, weil wir uns in Deutschland in einer trügerischen Sicherheit vor Katastrophen wähnen. Wer weiß heute noch, was welcher Sirenenalarm „Länder im globalen Süden sind uns um Jahre voraus, wenn es um Katastrophenvorsorge geht.“ 14 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
zu bedeuten hat? Hier geht es zum Teil wirklich darum, Basisarbeit zu leisten. Wie kann verbesserte Katastrophenvorsorge in Deutschland aussehen? SCHRÖDER: Katastrophenvorsorge ist ein weites Feld. Es reicht von konkreten Schutzmaßnahmen wie etwa dem Bau von Dämmen und dem Aufbau internationaler Hochwasserschutzkonzepte über die Ausbildung von Rettungsteams bis hin zur Arbeit im Stadtviertel, wo wir als Wohlfahrtsverbände gefragt sind. Wir müssen im Notfall auf funktionierende Strukturen zurückgreifen können, auf engagierte Menschen, die in der Nachbarschaft alte Menschen in Sicherheit bringen oder im Vorfeld Übungen in Schulen durchführen. KOTH: Die Katastrophenvorsorge ist weltweit einer der Arbeitsschwerpunkte der Diakonie Katastrophenhilfe. So wie in der internationalen humanitären Hilfe das Thema „Disaster risk reduction“ seit langem eine große Rolle spielt, so sehen wir auch im nationalen Bereich die Notwendigkeit, das Bewusstsein, die Infrastruktur und die Abläufe zu verbessern, um auf Katastrophen besser vorbereitet zu sein. Dabei geht es zum Teil um Dinge, die uns banal vorkommen, die aber den Unterschied machen können. Staatliche Strukturen, aber auch Organisationen des Katastrophenschutzes geraten bei der Bekämpfung von Katastrophenfolgen zunehmend an ihre Grenzen. Sie können in Großlagen wie der Flut 2021 nicht allen zeitnah helfen, die der Hilfe bedürfen. Daher ist es so wichtig, dass wir alle lernen, für unsere Sicherheit mehr Eigenverantwortung zu übernehmen und uns gegenseitig zu unterstützen und aufeinander achtzugeben. Nur gemeinsam können wir künftige Herausforderungen meistern. Was gilt es auf staatlicher und Verbandsebene zu verbessern? SCHRÖDER: In unserer föderalen Struktur sind die Bundesländer im Katastrophenfall zuständig. Konkret waren 2021 zwei Bundesländer in der Verantwortung. Dazu kamen der Bund und die Kommunen, die technischen Hilfen und auch die sozialen Hilfen, die wir als Hilfswerke leisten. Die Koordinierung zwischen all diesen Akteuren war nicht immer gut. Künftig müssen wir Katastrophenschutz und Katastrophenhilfe integrierter denken, im Verbund mit den unterschiedlichen Akteuren des Bevölkerungsschutzes und der Wohlfahrtspflege. KOTH: In den vergangenen drei Jahren haben die Diakonie Katastrophenhilfe und Caritas international vier Fluthilfekonferenzen federführend ausgerichtet. Dabei ging es auch immer um die Frage, wie alle beteiligten Akteure – Staat, Katastrophenschutz, ungebundene Helfer, Wohlfahrtsverbände und Hilfsorganisationen - im Katastrophenfall besser zusammenarbeiten können. Wir sind der Überzeugung, dass die Zivilgesellschaft und besonders die Wohlfahrtsverbände hierbei eine wichtige Rolle spielen. Die neue Resilienzstrategie der Bundesregierung sieht das ähnlich. Als Mitglieder des neu konstituierten Umsetzungsbeirats der „Nationalen Plattform der Stärkung der Resilienz gegenüber Katastrophen“ werden wir weiterhin unsere Erfahrung und unser Wissen mit einbringen, um unseren Beitrag für eine resilientere Gesellschaft zu leisten. Zuhören und emotional unterstützen ist mindestens genauso wichtig wie ein Bautrockner: Beratung für Flutbetroffene in Stolberg. Foto: DKH Markus Koth ist Fluthilfekoordinator bei Diakonie Katastrophenhilfe. Zuvor war er lange Zeit als Berater in der humanitären Hilfe tätig, etwa in Haiti, in Griechenland und im Libanon. Philipp Schröder ist Fluthilfekoordinator bei Caritas international. Davor war er bei verschiedenen international tätigen Hilfsorganisationen und Wohlfahrtsverbänden tätig. 15
UNICEF CARITAS INTERNATIONAL WIR SIND: das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UN). WIR HELFEN: in Kriegen, bei Katastrophen, Krankheiten, Ausbeutung oder fehlender Teilhabe: UNICEF ist weltweit in über 190 Ländern im Einsatz und hilft, dass Kinder gut versorgt werden, zur Schule gehen können und vor Gewalt geschützt sind. UNSERE PARTNER: Jedes UNICEF-Länderbüro hat eigene Mitarbeiter und arbeitet eng mit den nationalen Behörden und lokalen Organisationen zusammen. Im Krisenfall können wir so sofort handeln und helfen. UNSERE GRUNDSÄTZE: Es ist unser Auftrag, die Kinderrechte für jedes Kind zu verwirklichen, unabhängig von seiner Hautfarbe, Religion oder Herkunft. In der weltweiten Arbeit von UNICEF stehen die ärmsten und besonders benachteiligten Kinder im Mittelpunkt. UNSER VERSPRECHEN: Jedes Kind auf der Welt hat das Recht auf eine Kindheit – UNICEF ist dafür da, dass aus diesem Recht Wirklichkeit wird. WIR SIND: das weltweit tätige Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes und handeln im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz der Katholischen Kirche. WIR HELFEN: bei Krisen, nach Naturkatastrophen und leisten Katastrophenvorsorge sowie soziale Arbeit für die Bedürftigsten. UNSERE PARTNER: sind die nationalen, regionalen und lokalen Caritas-Organisationen, die in mehr als 160 Ländern Hilfe leisten, sowie Ordensgemeinschaften, Pfarrgemeinden und unabhängige Organisationen. UNSERE GRUNDSÄTZE: Wir helfen unabhängig von der Herkunft, Religion und politischen Überzeugung der Betroffenen und leisten nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe. UNSER VERSPRECHEN: Gemeinsam mit einheimischen Fachkräften sorgen wir dafür, dass die Hilfe dort ankommt, wo sie am meisten gebraucht wird. Unicef: © Haşim Kiliç | Caritas international: © Caritas Syrien | Diakonie Katastrophenhilfe: © Kerem Uzel VON DER SPENDENTAFEL ZUM HILFSPROJEKT Der Katastrophenfall Wenn eine Großkatastrophe eintritt –z.B. ein Erdbeben oder eine Dürre –oder ein Krieg wie in Syrien kein Ende nimmt, wird das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe aktiv, um für seine Mitgliedsorganisationen Spenden zu sammeln. Der Spendenaufruf Wenn die Nothilfe sehr hohe finanzielle Mittel benötigt, wendet sich das Bündnis an das ZDF und ruft gemeinsam mit dem Sender in den Nachrichtensendungen zu Spenden auf. DIE ORGANISATION 16 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
DIAKONIE KATASTROPHENHILFE DEUTSCHES ROTES KREUZ WIR SIND: das Hilfswerk für Humanitäre Hilfe der evangelischen Kirchen in Deutschland. WIR HELFEN: Menschen, die Opfer von Naturkatastrophen, Krieg und Vertreibung geworden sind und ihre Notlage nicht aus eigener Kraft bewältigen können. Wir unterstützen auch in „vergessenen Katastrophen“, die kaum öffentliche Aufmerksamkeit finden. UNSERE PARTNER: Wir arbeiten mit lokalen Partnerorganisationen und sind Mitglied im weltweiten kirchlichen Hilfsnetzwerk ACT Alliance. UNSERE GRUNDSÄTZE: Die Würde des Menschen zu achten, ist für uns oberstes Gebot. Unsere Hilfe richtet sich nach den Bedürfnissen der Betroffenen. In Konfliktregionen achten wir auf strikte Neutralität. UNSER VERSPRECHEN: Wir helfen unabhängig von Religion, Hautfarbe und Nationalität – schnell, unbürokratisch, zuverlässig und wirkungsvoll. Wir bleiben so lange, wie wir gebraucht werden. Von der Soforthilfe und dem Wiederaufbau bis zur Katastrophenvorsorge stehen wir Betroffenen bei. WIR SIND: die Nationale Gesellschaft des Roten Kreuzes auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und Teil der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. WIR HELFEN: in bewaffneten Konflikten, bei Naturkatastrophen sowie anderen Notlagen und verbreiten das humanitäre Völkerrecht. UNSERE PARTNER: ist die Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung, die mit Nationalen Gesellschaften in 192 Ländern die größte humanitäre Bewegung der Welt ist. UNSERE GRUNDSÄTZE: sind Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Neutralität, Unabhängigkeit, Freiwilligkeit, Einheit und Universalität. UNSER VERSPRECHEN: Wir leisten Hilfe für Menschen in bewaffneten Konflikten, bei Katastrophen und in Notlagen, allein nach dem Maß der Not. Seit 2001 rufen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland im Falle großer Katastrophen als Aktionsbündnis Katastrophenhilfe gemeinsam zu Spenden auf. Diakonie Katastrophenhilfe: © Kerem Uzel | Deutsches Rotes Kreuz: © Sinan, Türkischer Roter Halbmond Die Verteilung Die Spenden werden vom Aktionsbündnis Katastrophenhilfe gesammelt und von dort zu 100 Prozent an die Hilfswerke wei tergeleitet. Daher erhalten Spender ihre Spendenbescheinigung von einem der Hilfswerke. Die Mittelverwendung Die Bündnispartner sind allesamt global organisiert. Daher können sie über ihre Strukturen in den betroffenen Ländern schnell Not- und Katastrophenhilfe leisten. Bisweilen arbeiten sie aber auch zusammen. 17
Die vier Hilfswerke Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland haben sich im Jahr 2001 als Aktionsbündnis Katastrophenhilfe zusammengeschlossen, um im Falle großer Katastrophen die Kräfte bündeln und von den Stärken der anderen profitieren zu können. Die Organisationen arbeiten eigenständig und unabhängig voneinander und unterscheiden sich in Details ihrer Arbeit. Voraussetzung der Kooperation in Not- und Katastrophensituationen aber ist, dass die Partner im Grundverständnis ihrer Hilfe übereinstimmen: Sie stehen für die Grundsätze der humanitären Hilfe, sie arbeiten nachhaltig und an den Bedürfnissen der Menschen orientiert und sie arbeiten allesamt eng mit einheimischen Partnern zusammen. Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland handeln nach den Grundsätzen der humanitären Hilfe, die international vereinbart und beispielsweise im sogenannten „Code of Conduct“ (Verhaltenskodex) formuliert sind. Die darin festgelegten ethischen Grundsätze und fachlichen Qualitätsstandards bilden die Basis ihrer Hilfe. Dem humanitären Auftrag verpflichtet Leitlinie ihres Handels ist für alle Organisationen des Aktionsbündnisses Katastrophenhilfe der humanitäre Auftrag. Menschen, die durch Katastrophen oder Gewaltkonflikte in eine humanitäre Notlage geraten sind, die sie nicht aus eigener Kraft bewältigen können, haben ein Recht auf humanitäre Hilfe und Schutz. Regierungen und Konfliktparteien dürfen die Hilfe nicht behindern. Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit Die Organisationen des Aktionsbündnisses leisten Hilfe ohne Ansehen von ethnischer Zugehörigkeit, Religion, politischer Überzeugung oder anderen Kriterien, sondern allein nach dem Maß der Not. Sie leisten Hilfe, ohne in bewaffneten Konflikten Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen. Diese Neutralität dient dem Schutz der Betroffenen der Konflikte selbst wie auch dem Schutz der Helferinnen und Helfer. Die Hilfswerke leisten humanitäre Hilfe unabhängig von politischen, militärischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Zielen. Der einzige Zweck der humanitären Hilfe ist es, Leiden zu lindern. AKKREDITIERTE PARTNER DES BÜNDNISSES UND DER WEG ZUR KOOPERATION Ein Bündnis für Kooperationen Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe und seine Mitgliedsorganisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland bieten anderen Spendenorganisationen in Deutschland die Möglichkeit, sich zu akkreditieren und Mittel für die Hilfe im Katastrophengebiet zu beantragen. Gleiche Standards für alle Voraussetzung für eine Akkreditierung ist u.a., dass die jeweilige Organisation keinem anderen Bündnis angehört sowie über professionelle Strukturen, ausreichend Erfahrung und Umsetzungskapazitäten verfügt. Ebenso muss die akkreditierte Organisation das Spenden-Siegel des DZI tragen. DAS SELBSTVERSTÄNDNIS UND DIE STANDARDS DER HILFE 18 Aktionsbündnis KATASTROPHENHILFE
Überleben sichern, am Bedarf orientieren, nachhaltig helfen Die Organisationen haben umfassende Erfahrung und Handlungskompetenz in der humanitären Hilfe, im Wiederaufbau nach Krisen und Katastrophen und in der Vorsorge. Dabei ist die humanitäre Hilfe vorrangig darauf ausgerichtet, das Überleben der Betroffenen in einer akuten Notlage zu sichern, also schnell zu handeln. Es geht aber auch darum, die Ursachen von Not und Katastrophen möglichst wirksam zu bekämpfen und durch nachhaltige, vorausschauende Maßnahmen den Menschen bessere Lebenschancen zu ermöglichen. Humanitäre Hilfe wird bedarfsorientiert geleistet. Das bedeutet, dass Hilfsempfänger nach objektiv nachvollziehbaren Kriterien ausgewählt werden. Vertrauen in die Kompetenz der Partner Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland arbeiten in Not- und Katastrophensituationen eng mit einheimischen Partnern zusammen. So können sie dazu beitragen, dass die Betroffenen vor Ort schnell und kompetent versorgt werden. Die Partner vor Ort können am besten einschätzen, wo die Not am größten ist und welche Hilfe am dringendsten benötigt wird. Rechenschaft und Transparenz Die Wirksamkeit der Hilfsprogramme und die finanzielle Abwicklung werden laufend überwacht. Die vier Hilfswerke des Aktionsbündnisses Katastrophenhilfe bemühen sich um größtmögliche Transparenz und Rechenschaftslegung sowohl gegenüber den Hilfeempfängern als auch gegenüber den Spenderinnen und Spendern. So werden sie jährlich von unabhängigen Wirtschaftsprüferinnen und Wirtschaftsprüfern unter die Lupe genommen und veröffentlichen die Prüf- und Jahresberichte unter anderem auf ihren Internetseiten. Spendeneinnahmen teilen Im Falle eines Spendenaufrufs im ZDF besteht für akkreditierte Organisationen die Möglichkeit, Mittel zu beantragen und somit an den Spendeneinnahmen zu partizipieren. Die Projektanträge werden von Experten und einem unabhängigen Bewilligungsgremium geprüft. Gemeinsam helfen Bislang akkreditiert sind: - Cap Anamur/ Deutsche Not-Ärzte - ChildFund Deutschland - Don Bosco Mondo - ora Kinderhilfe international - UNO-Flüchtlingshilfe SPENDEN AN DAS AKTIONSBÜNDNIS KATASTROPHENHILFE 2023 Nothilfe Erdbebenopfer 38.369.211,47 Euro Nothilfe Ukraine 4.335.598,09 Euro Hilfen gegen Hunger in Afrika 135.102,42 Euro Nothilfe Syrien 32.056,00 Euro Nothilfe Libyen 1.920.048,48 Euro Hochwasserhilfe Deutschland 39.442,94 Euro Hilfen bei weiteren Katastrophen und Krisen 2.904.999,20 Euro GESAMT 47.736.458,60 Euro 19
Spendenkonto: Commerzbank IBAN: DE65 100 400 600 100 400 600 BIC: COBADEFFXXX Alle vier Organisationen des Aktionsbündnisses Katastrophenhilfe tragen das Siegel des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI), das die ordnungsgemäße Verwendung der anvertrauten Spenden bescheinigt. AKTIONSBÜNDNISKATASTROPHENHILFE
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